Ungewöhnliches Geschehen in der Stadtbibliothek von
Eckernförde: Gegen Abend strömen rund 50 sehr unterschiedliche
Leute in den Leseraum. Ältere und Jüngere und auch viele, die man
hier nicht so vermuten würde. Eine Lesung ist angesagt. Aber alles
ist anders. Anstatt eines Literaten liest ein (ehemaliger)
Punkrocker, statt roten Wein gibt es Freibier und eine Minibühne mit
Verstärker, Gitarre, Mikrofon ist auch aufgebaut. Sogar eine
Präsentation mit Bildern, eine wilden Jugend ist zu sehen.
Thomas Lötzsch, bestens bekannter Frontmann von "Illegal 2001"
liest aus seinem Buch. "Punk op de Deel" heisst der Band,
der seine Kindheit und Jugend in der Provinz beschreibt. Und das
ständige Bemühen anders und auffallend zu sein und richtig harte
Musik zu machen.
Diese Form der Pubertät beschreibt auch, aus der
Sicht der Eltern, ein Lied, das Thomas Lötzsch zur Einstimmung
vorträgt: "Wie du wieder aussiehst... Was sollen denn die
Nachbarn sagen..." "Die Eltern machen sich viel mehr
Gedanken um einen, als man selbst" kommentiert Thomas Lötzsch
das was Thema des Abends werden soll: Eine wilde Jugend auf dem Dorf.
Aber erstmal muss der Autor den jüngeren Leuten im Publikum
erklären, was Kindheit und Jugend denn mal war: ohne Internet und
Spielboxen, mit Schallplatten anstatt mp3, und warum man tatsächlich
raus an die Luft ging und sich mit de Freunden am Waldrand oder
Weiher traf. Da gab es noch Strassenkinder mit dem Schlüssel um den
Hals. "Was ist Was, das war meine Wikipedia" Thomas ist in
beiden Sprachwelten zu Hause, der neuen des Internetzeitalters und
der klassischen, als man noch analog ge- und erlebt hat.
"Eine relativ behütete Kindheit" fand
Thomas Lötzsch, "denn das ganze Dorf passte auf" Und schon
ist der Entertainer mittendrin in den Geschichten seiner Kindheit und
Jugend. "Das ist meine erste Lesung" hatte er am Anfang
verkündet, als ob das Publikum nachsichtig mit dem Anfänger sein
sollte. Dazu bot sich den Zuhörern keinerlei Gelegenheit, den was
folgte war eine gekonnt präsentierte Kaskade aus freien Vortrag, gut
gespielten Liedern, rasant vorgelesenen Texten und einer Unzahl von
punk(t)genau gebrachten Anekdoten. Immer wieder durchhallte heftiges
Lachen die sonst eher ehrwürdigen Räumen der Bibliothek. Die erste
"Freibierlesung" hat der Bibliothek gut getan, so gelöst
und und unterhaltsam. Und Thomas Lötzsch, der meinte sein Publikum
mit Freibier und Eintritt "für lau" ködern zu müssen,
sollte jetzt sicher sein: Bei dem Unterhaltungswert seines Buches und
Vortrages kommt das Publikum auch mit Eintritt auf seine Kosten und
gerne. Hoffentlich geht die Reise bald mal wieder in die punkige
Jugend in der Provinz. (fst)
"Punk op de Deel", erhältlich für 19,50 € über
loetzschmann@aol.com
per email oder per Telefon & Fax 3872. Ausserdem bei Rieck,
Tabak und Wein, Langebrückstrasse.
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